Vom deutschen Gesamtverband textil+mode bzw. vom europäischen Textilverband EURATEX nominiert hat unser Textilchemie- und Textilveredlungsexperte Dipl. Ing, (FH) Stefan Thumm (Südwesttextil/VTB) das Verfahren in Brüssel vor Ort fachlich federführend begleitet.
Die textilen REACH-Restriktionsverfahren haben sehr gerne eine schwedische Antriebsfeder. Das textile Weltbild der schwedischen Restriktionsmacher von der Chemikalienbehörde KEMI ist sehr auf Bekleidung fokussiert und blendet ganze textile Segmente und Thematiken mangels fachlicher Kenntnis oft einfach komplett aus. Die Vorbereitung dieser textilen Groß-Restriktion, die im Oktober 2015 von Seiten der KEMI startete, war dementsprechend völlig unzureichend im Vorfeld durchdacht worden.
In diesem Verfahren war allein aufgrund der Wortes „körpernah“ dann doch noch sehr vieles mehr zu regeln, als man dies aus der skandinavische Regulierungsecke zu Beginn meinte. Daher musste in der schwedischen „Pippi-Langstrumpf-Klamottenkiste“ nun einmal zunächst von Seiten der Textiler aufgeräumt werden, damit die textile Gesetzgebung nach REACH-Art 68/2 nicht nur für die Branche, sondern für alle im totalen Chaos und im Desaster endet.
Das textile Universum führt bezüglich der Artikelanzahl gerne in die Unendlichkeit: von Unterwäsche, bügelfreien Hemden, Funktionstextilien, Bettwäsche, Kissen, Teppiche, Atemschutzmasken, Einwegoveralls, Wischtüchern, textile Hygieneartikel, Textilien für die Automobilindustrie bis zum medizinischen Nahtmaterial, einem Medizinprodukt der Klasse 3, war sehr vieles möglichst eindeutig zu regeln. Aber auch die Sportartikelindustrie hat eine Vielzahl von Artikeln und Themen, die an dieser Restriktion hängen, die wir als Textiler gleich stellvertretend mitbedacht und mitverteidigt haben.
Gemeinsam mit einzelnen Südwesttextil- und VTB-Mitgliedern abgestimmt, haben Stefan Thumm und Kollegen in den vergangenen Monaten die Rückfragen der EU-Kommission beantwortet, fachlich sehr viel aufgeklärt und den Geltungsbereich der Restriktion eingegrenzt, damit es nicht zu endlosen Überschneidungen mit anderen EU-Regulierungen bzw. Stoffmehrfachregulierungen kommt. Insoweit wurde von Seiten der textilen Verbände alles Durchsetzbare dafür getan, dass diese Restriktion nicht nur für die Textiler in Europa pragmatisch umsetzbar wird. Ein zähes Ringen, das sich aber am Schluss auszahlt, denn die EU-Kommission hat außergewöhnlich viele bzw. fast alle Vorschläge in den Gesetzestext aufgenommen.
Körpernahe Textilien sind in der breit gefächerten Textilindustrie ein dehnbarer Begriff und obwohl am Beginn so ziemlich alles von den schwedischen Restriktionsmachern in einen Topf geworfen wurde, so wurden nun durch die Eingaben der Textiler bis dato der Medizinproduktebereich, Veterinärprodukte, Textilien mit Lebensmittelkontakt, Arbeitsschutztextilien, textile Einmal-/Wegwerfartikel von der Restriktion ausgenommen bzw. eindeutig abgegrenzt. Aktuell steht in diesem Feld noch die auf unseren Vorschlag vorzunehmende Abgrenzung zur Spielzeugverordnung in der Diskussion.
Recyclingmaterialen sind derzeit, obwohl wir explizit darauf hingewiesen haben, nicht von der Regulierung ausgenommen. Das ist gravierend, denn damit wird ausgerechnet, die von vielen gesellschaftlichen Kräften geforderte Ausweitung der „Circular Economy“ ausgerechnet durch NGO-Forderungen in ein sehr eng geschnürtes Grenzwertkorsett gezwängt und wohl vieles abgewürgt.
Der Erhalt von wichtigen textilen Schutzfunktionen wie Flamm- und Brandschutz im Verbraucherbereich konnte bis dato durch eine Restriktions-Ausnahme bezüglich des Formaldehydgrenzwertes mit bis zu 300 ppm erreicht werden. Manche fluorfreie wasserabstoßende Kombi-Ausrüstung für Jacken und Mäntel kann mit diesem Grenzwert weiter in der EU durchgeführt und verkauft werden. Dieser 300 ppm Grenzwert geht analog auch mit den Ökotex-Grenzwerten für diese Artikel. Im Übrigen spricht eine neue amerikanische Studie den Stoff Formaldehyd von dem Generalvorwurf der kanzerogenen Wirkung beim Menschen frei. In der EU sieht man das trotz dieser neuesten US-Studien noch immer anders, daher entflammen die Diskussionen um diese Grenzwertausnahme aktuell von NGO-Seite neu und sehr emotional. Das EU-Stoffrecht ist aber keine Frage des Glaubens, sondern gründet in einer stringent naturwissenschaftlichen Basis.
Die Grenzwerte für die drei aprotischen (Faser-) Lösemittel DMF, NMP, DMAc sind mit 3000 ppm außergewöhnlich hoch angesetzt. Dahinter verbirgt sich aber vor allem die Sicherung der grundsätzlichen Verkehrsfähigkeit der Rohwaren wie Aramidfasern, Elasthanfäden oder auch Polyacrylnitrilfasern. Nach der Textilveredlung/Wäsche sind die Werte bei Textilien aus diesen Fasern deutlich unter diesen 3000 ppm Grenzwerten bzw. tendieren gegen Null, denn diese Faserrestlösemittel sind allesamt wasserlöslich. Die EU-Kommission sichert nun mit diesen Grenzwerten auch die weitere EU-Herstellung von schusssicheren Westen für Polizei und Militär – und obwohl als PSA nun eindeutig von der Restriktion ausgenommen – auch die flammfeste Feuerwehrschutzbekleidung und viele andere Schutztextilien, denn die Rohgarne bleiben damit verkehrsfähig.
Auch Kompressionstextilien für die postoperative Patientenversorgung können weiter in der EU gefertigt werden, denn hierfür braucht es spezielle Elasthan-Garne mit spezifischem Rücksprungverhalten/Hystereseverhalten, um Thrombosen bei den Patienten zu verhindern.
Bei den Grenzwerten gab es einige heftige Diskussionen. Zum Beispiel die Bestimmung des Chrom-Gesamtgehalts von Färbungen mit Grenzwert 1 ppm, wie ursprünglich von Seiten der Gesetzgebung und NGO’s gefordert, hätte das Aus für viele Wollartikel, Anzugsstoffe, Funktionstextilien etc. bedeutet. Dieser fachlich falsche Ansatz hätte Veredler wie Markenbekleider sehr hart getroffen, denn vieles wäre nicht mehr verkehrsfähig gewesen, da die Analytik zwischen einem im Reaktiv-Farbstoff für Baumwolle komplex gebundenen Chrom III und einem Chrom VI in der Unterscheidung noch so ihre Schwierigkeiten hat.
Der Chrom VI Grenzwert sinkt nun zwar auf strenge aber erreichbare 1 ppm ab, doch aufgrund der Argumentation, dass es sich um ein komplex im Farbstoff gebundenes Chrom handelt, bleibt es bei der richtigen Methode, nur das aus dem Textil extrahierbare Chrom VI zu messen. Für sehr tiefe Schwarz- und Marineblau-Färbungen auf Wolle gibt es zudem neue Farbstoffe, wie die REALAN-Marken der Firma Dystar, so dass auch hochwertigste Wollstoffe keiner Nachchromierung mehr bedürfen. Die Nachchromierung ist in Deutschland aufgrund der Abwassergrenzwerte bezüglich Chrom VI im Anhang 38 sowieso schon lange passe.
Bei Chinolin, einem CMR-Begleitstoff in Dispergiermitteln für die Färberei und Farbstoffstellmitteln, gab es einiges aufzuklären. Südwesttextil und der VTB sind dieser Thematik vollumfänglich nachgegangen und so wurde im Dreieck gemeinsam zwischen dem Farbstoffhersteller Dystar und Hohenstein-Group partnerschaftlich eine erste Prüfmethode entwickelt. Hauptziel ist es vor allem, Polyester-Textilien durch den Einsatz von qualitativ hoch aufgereinigter Farbstoffstellmittel/Farbstoff-Produkte bzw. chinolinfreier Dispergier-Hilfsmittel zu optimieren. Parallel wurde dieses Ziel mit den Mitgliedern umgesetzt und u. a. auch schon in die ACEA-REACH-Task-Force Automobilindustrie, die sehr eng mit SWT/VTB zusammenarbeitet, kommuniziert. Für diese besonderen Anstrengungen gilt unseren Mitgliedern Hohenstein-Group und Textilcolor/Schweiz als auch besonders der Fa. Dystar/Raunheim besonderer Dank.
Wir haben als Textiler angesichts der ursprünglichen schwierigen Ausgangslage sehr viel im Sinne einer für alle vernünftigen Regulierung für die Branche erreicht, aber es sind dennoch viele Dinge offen.
Die EU hat nun den ursprünglichen Restriktions-Passus „anhaltend körpernah“ auf nur noch „körpernah“ verkürzt. Angeblich weil man nicht definieren konnte was „anhaltend“ bedeutet. Ein Blick in eine andere Gesetzgebung REACH Annex XVII, Entry 27 (Nickel) hätte aber genügt und man würde feststellen, dass es diese Definition bei REACH schon gibt. Schwer zu glauben, dass die EU ihre eigene Gesetzgebung nicht kennt, aber die eigentliche Zielsetzung der Restriktion durch eine abermalige Ausweitung auf viel Irrelevantes verwässert wird, denn Unterwäsche ist zweifellos anhaltend körpernaher als ein Teppich im Fußraum eines Automobiles.
Vor allem aber auch der neue Begriff in der Gesetzesvorlage „homogenious material“ ist so weitgreifend uneindeutig definiert, dass bei einem Sofa neben dem eigentlichen körpernahen Sitzbezug, auch je nach Auslegung der darunterliegende Schaumstoff, die Sprungfedern, alle Plastik-, Metall- oder Holzteile auf das Vorhandensein von Schadstoffen überprüft werden müssten.
Das wäre dann eine gesetzlich verordnete Prüfkostenexplosion per se, die nichts verbessert, aber alle Beteiligten an die Grenze des finanziell Machbaren bringt, REACH-EuGH-Urteil zu Erzeugnissen hin oder her.
Ein weiterer Nachteil des laufenden Verfahrens ist, dass dieser Gesetzgebungsentwurf schon in dieser ersten und einzigen Kommentierungsphase mit der WTO in Abstimmung ist, was größere Änderungen nun kaum zulässt. Für ein Verfahren dieser enormen Tragweite ist das genauso die falsche Prozedur wie wohl die Anwendung des REACH Art 68/2-Verfahrens unter schwedischer Führung. Die Schwierigkeiten mit diesem erstmalig durchgeführten Gesetzgebungsverfahren blieben auch den Machern des REACH-REFIT Reports nicht unverborgen. Das Schell-Verfahren kommt daher nachgehend auf den Prüfstand der EU-Kommission.
Trotz all dieser Handicaps bleiben wir auf Tuchfühlung und legen in unserer aktuellen Stellungnahme der EURATEX gemeinsam nochmal nach.
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