Im Einzelnen: Am 12. September 2017 hat das EP den Bericht „Auswirkungen des internationalen Handels und der Handelspolitik der EU auf globale Wertschöpfungsketten“ der belgischen Abgeordneten Maria Arena mit 497 Ja-Stimmen, 124 Nein-Stimmen und 56 Enthaltungen im Plenum verabschiedet. Wir skizzieren die Inhalte des Berichts:
Globale Lieferketten und Verantwortung der Unternehmen
- Das EP fordert die EU-Kommission auf, Regeln zu verbindlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen in der Lieferkette und zu Transparenzanforderungen festzulegen. Die Kommission soll Möglichkeiten zu sofortigen Maßnahmen umgehend prüfen, um verbindliche und durchsetzbare Regeln, Rechtsbehelfe und unabhängige Überwachungsmechanismen zu entwickeln.
- Die EU wird aufgefordert dafür zu sorgen, dass die Rückverfolgbarkeit eines Produkts für dessen gesamte Lebensdauer gewährleistet wird.
- Freiwillige CSR-Maßnahmen von Unternehmen werden als unzureichend bezeichnet, da sie zu einem unfairen Wettbewerb zwischen Unternehmen führen. Bereits ergriffene CSR-Maßnahmen von Unternehmen sollen überprüft werden.
- Bei der öffentlichen Auftragsvergabe werden Kommission und Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, dass „spezifische Anforderungen hinsichtlich Transparenz sowie der Wahrung der Menschenrechte und des Völkerrechts gelten“.
- Das EP begrüßt die laufenden Verhandlungen über ein verbindliches Übereinkommen der Vereinten Nationen zu transnationalen Unternehmen und Menschenrechte (UN Treaty Process) und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich konstruktiv an den Verhandlungen zu beteiligen und einen Beitrag zur Ausarbeitung von konkreten Vorschlägen zu leisten, auch in Bezug auf den Zugang zu Rechtsbehelfen.
- Das EP fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, innerhalb der ILO darauf hinzuwirken, dass eine neue internationale Arbeitsnormen für menschenwürdige Arbeit in globalen Wertschöpfungsketten angenommen wird, durch die alle Unternehmen verpflichtet werden sollen, eine menschenrechtliche Sorgfaltspflichtprüfung einzuführen.
Freihandelsabkommen der EU und globale Wertschöpfungsketten
- Das EP "warnt vor den negativen Auswirkungen der Ausweitung und Liberalisierung des Handels auf die Qualität von Beschäftigung" und begrüßt die neue EU-Handels- und Investitionsstrategie „Handel für alle“.
- Die Kommission wird aufgefordert, ihre CSR-Strategie zu überarbeiten und dabei zu sorgen, dass Bestimmungen über die soziale Verantwortung von Unternehmen in die Handels- und Investitionsabkommen der EU aufgenommen werden.
- Das EP fordert die Verstärkung der handelsbezogenen Ex-ante-Nachhaltigkeitsprüfungen, die zusätzliche Einführung von Bewertungsanforderungen für Menschenrechte und die Verpflichtung zur Durchführung und Veröffentlichung von Ex-post-Nachhaltigkeitsprüfungen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
Das EP verlangt die Aufnahme von umfassenden, durchsetzbaren und ambitionierten Kapiteln in Freihandelsabkommen mit folgenden Inhalten:
- Zusage aller Partner, die acht ILO-Kernarbeitsnormen und die vier vorrangigen Übereinkommen sowie die internationalen multilateralen Umweltabkommen zu ratifizieren und wirksam umzusetzen
- Einbeziehung von Menschenrechtsklauseln in die allgemeinen Streitbeilegungsmechanismen
- Einführung für Beschwerdeverfahren für NGOs und Sozialpartner und eine konsequente Überwachung der Bestimmungen durch Einbeziehung der NGOs und der nationalen Parlamente
- Wirksame Abschreckungsmechanismen, auch in Form von Strafzahlungen, und die Aufnahme von Stillhalteklauseln
Klagemöglichkeiten gegen Unternehmen
- Das EP fordert die Kommission auf, zur Ausweitung der Brüssel-I-Verordnung auf Beklagte aus Drittstaaten einen Vorschlag vorzulegen. Die EU und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die notwendigen Schritte einzuleiten, um gegen Hürden vorzugehen, die den Zugang zu wirksamen Rechtsbehelfen behindern.
- Die Unternehmen sollen Beschwerdemöglichkeiten auf Betriebsebene für „von ihren Tätigkeiten betroffenen Arbeitnehmern“ einführen.
Zollpräferenzsystem
- Im Bereich der Zölle soll das Allgemeine Präferenz-System (APS) überarbeitet werden. Dabei soll es verbindliche Vorschriften über Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie den Umweltschutz umfassen, welche wirksam durchgesetzt und überwacht werden sollen. Auch sollen Anforderungen an die soziale Verantwortung von Unternehmen aufgenommen werden.
Unsere Dachorganisation BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) bewertet diesen EP-Beschluss wie folgt:
Die Forderungen des Europäischen Parlaments sind sehr kritisch zu bewerten, da sie im Ergebnis zu einer starken Verrechtlichung von globalen unternehmerischen Wertschöpfungs- und Lieferketten führen würden. Die staatliche Verantwortung zum Schutz und zur Achtung der Menschenrechte würde dabei auf die Unternehmen delegiert. Dabei wird verkannt, dass Unternehmen mit ihrem CSR-/Nachhaltigkeitsengagement die Bemühungen der Staaten für gesellschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt ergänzen, nicht aber deren Verantwortung ersetzen können. Die Staaten müssen die grundlegenden Umwelt- und Sozialstandards um- und durchsetzen. Der Bericht verkennt auch, dass Unternehmen bereits seit Jahren sehr aktiv im Bereich CSR/Nachhaltigkeit sind. Neben den vielen Sektorinitiativen (u.a. BSCI, Textilbündnis, TfS, Chemie³, Bettercoal, usw.) haben viele Unternehmen eigene umfassende CSR-/Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt.
Insbesondere die Forderungen nach verbindlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen für ihre Lieferketten und die Schaffung von neuen Klagemöglichkeiten sind sehr kritisch zu bewerten. Eine solche Verrechtlichung ist nicht in Übereinstimmung mit dem im Jahr 2011 gefundenen internationalen Kompromissen und steht im Widerspruch zu den konkreten Vorgaben der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN-Leitprinzip 2, Kommentar, Satz 1) und der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Aus diesen Standards ergibt sich die wichtige Klarstellung, dass bei globalen Lieferketten eine Risikoverlagerung gerade nicht erfolgen soll (UN GP, Leitprinzip 22, Kommentar, Satz 3; OECD-Leitsätze Teil I, II. A 12. Satz 2; OECD-Leitsätze Teil I, IV Nr. 43, Satz 1, 2). Des Weiteren würden verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen zu erheblich neuer Bürokratie und zu hohen Kosten führen.
Auch wird verkannt, dass die Verlagerung von Risiken der globalen Lieferkette für die Europäische Union und ihrer Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen und globalen Zulieferketten und einer starken Exportorientierung in globale Märkte wirtschaftlich schwerwiegende Auswirkungen haben würde. Auch die kontraproduktiven entwicklungspolitische Auswirkungen werden nicht beachtet, da Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern der Zugang zu globalen Lieferketten wesentlich erschwert würde.
Der Bericht drückt die Position des EP aus und ist für die EU-Kommission unverbindlich. Im Hinblick auf den jüngst angestoßenen Konsultations- und Meinungsbildungsprozess zur künftigen Ausgestaltung von Nachhaltigkeitskapiteln in EU-Freihandelsabkommen hat er allerdings hohes politisches Gewicht. Die Kommission muss dem Parlament innerhalb von drei Monaten auf die Forderungen antworten und über Folgemaßnahmen informieren.
Der von Südwesttextil wesentlich mitgetragene Gesamtverband textil+mode bringt sich zusammen mit der BDA und anderen Verbänden in die aktuelle Debatte auf EU-Ebene aktiv ein. Nach unserem bisherigen Eindruck vertritt die EU-Kommission eher eine industrienahe Position und setzt auf die Verbesserungen der bestehenden, bereits sehr umfassenden Nachhaltigkeitsinstrumente jüngerer Freihandelsabkommen, wie mit Südkorea und Kanada (CETA). Inwieweit sich jedoch EP und Zivilgesellschaft in der Diskussion durchsetzen werden können, ist jedoch ungewiss. Über die weiteren Entwicklungen halten wir Sie auf dem Laufenden.